Samstag, 31. Juli 2010

Deflation: Spirale, die sich im Uhrzeigersinn drehen

Paul Krugman erklärt in seinem Blog nocheinmal, warum Deflationistas wie er wegen der Möglichkeit einer Deflation beunruhigt sind: Geschichte. Als er Makroökonomie lernte, als die Dinosaurier die Erde bevölkerten, bemerkt Krugman, führten Ökonomen Simulationen mit Steinbeilen und die Studenten lernten noch die Finanzpolitik. Damals sei gelehrt worden, dass, wenn Sie Arbeitslosigkeit gegen Inflation graphisch darstellen, die Wirtschaft sich spiralförmig im Uhrzeigersinn zu entwickeln tendiert. Das heisst, dass hohe Arbeitslosigkeit zu sinkenden Inflation führt und die Inflation sich stabilisiert und vielleicht wieder einmal steigt, wenn die Arbeitslosigkeit sich wieder verringert, erklärt Krugman. All dies sei im Sinne einer Phillips Kurve verstanden worden, in der die tatsächliche Inflation zu jedem beliebigen Zeitpunkt sowohl von der Arbeitslosenquote als auch von der erwarteten Inflation abhängt. Und die erwartete Inflation passt sich im Lichte der Erfahrung an, so Krugman.


Abschwung in den USA Mitte der 1970er Jahre: Rechtsdrehende spiralförmige Darstellung des Verbraucherpreis-Index, Graph: Prof. Paul Krugman

Die rechtsdrehenden Spirale waren wirklich klar in den Fällen, wo eine schwere Rezession zu einem Spitzenwert in Arbeitslosigkeit und Inflation geführt hat. In der Abbildung ist der Abschwung während der Mitte 1970er Jahren zu sehen. Krugman verwendet dabei die Kerninflation gegenüber dem Vorjahr. Warum? Hier ist die Erklärung. Da es sich dabei um die Wirtschaft handelt, sind die Daten bei weitem nicht perfekt. Daher gibt es gelegentliche Ausweichungen („jinks and jogs“), fügt Krugman hinzu. Wichtig ist, dass man sich auf das Ganze konzentiert.

Nun erleben wir eine Krise, die tiefer und länger ist als in all diesen Perioden von damals. Und wir sind mit einer viel tieferen Inflation da reingeraten. Sehen wir heute Spirale im Uhrzeigersinn? Ja, bemerkt der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor. Wie kann man sich das ansehen und nicht daraus schliessen, dass die Deflation eine sehr reale Gefahr ist? „Ich habe keine Ahnung, woher die Selbstzufriedenheit der Fed kommt“, fasst Krugman zusammen.


...und der Abschwung in den USA heute: Wiederum rechtsdrehende spiralförmige Tendez der Inflation erkennbar, Graph: Prof. Paul Krugman

FDIC: Anzahl Bankschliessungen klettert auf 108

Die FDIC (Einlagensicherungsbehörde) hat am Freitag laut Washington Post 5 Banken in Florida, Georgia, Oregon und Washington geschlossen. Damit ist die Anzahl der Banken, die im Jahre 2010 verstaatlicht wurden, auf 108 gestiegen. Die verstaatlichten 5 Banken verfügen über ein Anlagevermögen von insgesamt 1'904 Mio. $. Die Kosten der sieben geschlossenen Banken belaufen sich für die öffentliche Hand auf 334,7 Mio. Dollar.

Bankpleiten:
2010: 108
2009: 140
2008: 25
2007: 3

Florida und Georgia gehören zu den Bundesstaaten mit den höchsten Konzentrationen von Bankpleiten, wo die Kernschmelze im Immobilienmarkt eine Lawine von faulen Hypothekendarlehen ausgelöst hat. Seit Jahresbeginn sind in Florida 20 und in Georgia 11 Banken gescheitert.

Mit 108 Schliessungen bundesweit übersteigt das Tempo der Bankpleiten in diesem Jahr bei weitem das des Jahres 2009. Zu diesem Zeitpunkt des Vorjahres hatten die Regulierungsbehörden 69 Banken geschlossen. Das Tempo beschleunigt sich mit dem Anstieg von Verlusten auf Darlehen für gewerbliche Immobilien und Entwicklung.

PS: Die FDIC hat im vergangenen Jahr 140 Banken geschlossen. Die Kosten für die Behörde: 30 Mrd. $. Die Behörde rechnet mit Kosten von 60 Mrd. $ von 2010 bis 2014 für die Beilegung von bankrotten Banken, wie sie vor einem Monat mitgeteilt hat.

Freitag, 30. Juli 2010

Deflation: Japan versus USA

Gute Nachrichten: Immer mehr Menschen bei der Fed nehmen die Deflationsgefahr im japanischen Stil ernst. Es gibt aber Ausnahmen wie beispielsweise Charles Plosser, Philadelphia Fed-Präsident. Er denke, dass die Angst vor Deflation wahrscheinlich übertrieben sei, sagte er vergangene Woche in einem Interview. Plosser zufolge sind die Inflationserwartungen „gut verankert“. „Ich stelle fest, dass 1 Mrd. $ in Bankreserven bei der Fed liegen. Es ist schwer, sich vorzustellen, eine längere Phase Deflation zu haben, während so viel Geld herumliegen“. Macht die Aussage aber Sinn? Nein, bemerkt Paul Krugman in seinem Blog. „Wenn wir darüber reden, japanisch zu werden, sollten wir uns dann nicht mit der japanischen Erfahrung befassen“, fragt der Nobelpreisträger zu Recht. Er präsentiert dazu die folgende Abbildung (1995 bis 2005): Die japanische Geldbasis (Notenbankgeldmenge). Das heisst, Giroguthaben der Banken bei der Fed + Notenumlauf.


Japan: Geldbasis, Graph: Prof. Paul Krugman

Das Geld liegt da und die Deflation kommt weiter voran. Das einzige, was die Verbraucher in Japan an dauerhaften Gütern kaufen, sind Safes, bemerkt Krugman, indem er sich an ein Gespräch mit Taka Ito erinnert. Wenn die Wirtschaft in einer Liquiditätsfalle steckt, spielt die Geldbasis (Notenbankgeldmenge) keine Rolle.

Es lohnt sich, sich zu vergegenwärtigen, dass die letzten anderthalb Jahre eine ziemlich saubere Prüfung von alternativen Ansichten darüber geworden sind, wie die Wirtschaft funktioniert, argumentiert Krugman weiter. Wenn die Wirtschaft einbricht, das Haushaltsdefizit in die Höhe schnellt, und die Fed beginnt, in grossem Stil Wertpapiere aufzukaufen, dann gibt es zwei Arten von Ansichten: Auf der einen Seite stehen Leute, die sagen, dass das Haushaltsdefizit die Zinsen nach oben treiben und die privaten Investitionen („crowding out“) verdrängen werde. Zudem werde das gedruckte Geld zu einer höheren Inflation führen. Auf der anderen Seite stehen Leute, die sagen, dass wir in eine Liquiditätsfalle im japanischen Stil geraten sind, was bedeute, dass es (a) zu einer Ersparnisschwemme („savings glut“) kommt und das Defizit keine Verdrängung von privaten Investitionen zu Folge hat und die Zinsen niedrig verbleiben werden und dass (b) der Anstieg der Geldbasis („monetary base“) einfach dasitzen werde und (c) das Risiko Deflation ist, nicht Inflation.

Und so weit liegen die Inflationistas völlig falsch, erklärt Krugman. Die Deflationistas haben völlig recht. Das war kein Zufall, hält der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor fest. Zum grössten Teil haben die Inflationistas grundsätzlich argumentiert, dass sich nichts ändert, wenn die Wirtschaft depressiv wird und die kurzfristigen Zinsen gegen die Null-Grenze fallen. Die Quantitätstheorie des Geldes ist noch gültig und die Zinssätze reflektieren Angebot und Nachfrage im Markt für Refinanzierungen. Die Deflationistas haben gewusst, dass sich alles ändert, wenn die Wirtschaft sich in einer Liquiditätsfalle steckt. Und die jüngsten Erfahrungen zeigen, wie wahr diese Ansicht ist.

Wo sind Bond-Vigilantes?

Beinahe alle westlichen Regierungen mit Ausnahme der Obama Administration bekennen sich zur Zeit zu Sparmassnahmen ("fiscal austerity"). Die Haushaltskonsolidierer betonen immer wieder, dass wir die Bond Vigilantes befürchten müssen, wenn wir die Staatsausgaben nicht kürzen und die Haushaltsdefizite nicht verringern. Die Defizit-Falken warnen davor, dass die Stimmung sich am Markt wenden könnte, sodass die Spreads für die Staatsanleihen durch die Decke schiessen. Das ist aber nicht der Fall. Ganz im Gegenteil werden die Staatsanleihen in einer depressiven Wirtschaft besonders stark gesucht. Wie der Tabelle zu entnehmen ist, ist die Wertentwicklung der US-Treasuries am langen Ende der Ertragskurve sogar viel besser als die der am kurzen Ende, weil die Inflation kein Thema ist und die Deflation eine Gefahr darstellt.


Wertentwicklung der US-Staatsanleihen, Graph : Jim Caron, Morgan Stanley

Die inflationsgeschützten Staatspapiere (TIPS) bringen es seit Jahresbeginn auf eine Rendite von +3,74%. Die Performance der Aktien (gemessen an S&P-500) beträgt hingegen -0,80%.

Was müssen Menschen, die bei hoher Arbeitslosigkeit eine schnelle Haushaltskonsolidierung fordern, über die Wirtschaft glauben, damit ihre Strategie verständlich wird?, bemerkt Prof. Robert Skidelsky zu Recht in einem lesenswerten Essay („Consolidators versus Stimulators“) in Project Syndicate.

Donnerstag, 29. Juli 2010

Was das Wachstum der Staatsschulden bestimmt

Die derzeitige Finanzkrise hat Ängste wiederbelebt, dass die Regierungen in einigen fortgeschrittenen Volkswirtschaften ihre finanziellen Verpflichtungen nicht erfüllen („default“) könnten, was ein globales Finanz-Tsunami auslösen würde, bemerkt Silvio Contessi in einem kurzen Essay („Sovereign Debt Shadows“) in der aktuellen Ausgabe von „Internatinal Economic Trends“ (Fed St. Louis). Finanzmärkte fordern höhere Renditen, um die Anleihen aus diesen Ländern zu kaufen. Doch was bestimmt den Zuwachs der Staatsschulden? Warum sind Anleger über diese Länder besorgt? Die Antworten auf diese Fragen stehen im Zusammenhang mit der allgemeinen fiskalischen Solidität und der Nachhaltigkeit der Schulden, erklärt der Ökonom. Der Primärüberschuss eines Landes ist die Differenz zwischen den Steuereinnahmen und den Staatsausgaben (laufende Ausgaben) ohne die Zinsen auf Schulden, die in der Vergangenheit gemacht wurden. Sowohl die langfristigen strukturellen Ausgaben (z.B. Veränderungen in Militärausgaben) als auch die zyklischen Komponente (z.B. Arbeitslosengeld) tragen zum (Haushalts-) Defizit bei, erklärt der Autor.



Öffentliche Schuldenquote & Haushaltsdefizit, Graph: Silvio Contessi, Economic Trends

Der Primärüberschuss (oder Defizit) minus Zinszahlungen auf ausstehende Schulden ist der Haushaltsüberschuss (oder Defizit). Deswegen entspricht die Jahr-zu-Jahr Veränderung in nominalen Staatsschulden der Summe aus zwei Faktoren: Die Zinszahlungen auf bestehende Schulden + das Primärdefizit. Höhere Zinsen und Ausgaben und Rückgänge in Steuereinnahmen neigen dazu, die Schulden eines Landes zu erhöhen.

Die Schulden der öffentlichen Hand werden i.d.R. als Prozentsatz des BIP dargestellt, was aussagefähige Vergleiche über die Zeit und einzelne Länder in Bezug auf die Fähigkeit, die Schulden zu bedienen, zulässt. Schnelleres BIP-Wachstum im Vergleich zu Schulden erlaubt Staaten, die Schulden im Verhältnis zum BIP unter Kontrolle zu halten. Schwaches Wirtschaftswachstum und fehlende Haushaltsdisziplin hingegen führen dazu, dass der Anteil der Schulden am BIP steigt, bis die Regierung eine Haushaltsdisziplin entwickelt oder die Zahlungen („default“) ausfallen lässt.

Bailout > Stimulus ?

Zwei renommierte Ökonomen haben neulich eine brandneue Studie („How the Great Recession Was Brought to an Ende“) vorgelegt. Alan Blinder (Wirtschaftsporfessor an der Princeton University und ehem. Fed Vize-Präsident) und Mark Zandi (Moody’s Chefökonom) zeigen in dem Paper auf, dass das US-BIP heute ohne Stimulierungsmassnahmen um 6,5% niedriger liegen würde. Zudem wäre die Beschäftigung um 8,5 Mio. Jobs tiefer. Man bedenke, dass es heute bereits mehr als 9 Mio. Arbeitslose gibt. Die Kosten der Finanzkrise schätzen die Ökonomen auf insgesamt 2'350 Mrd. $. Davon betragen die direkten Kosten der Rezession 1'600 Mrd. $ und die Haushaltskosten (entgangene Einnahmen) 750 Mrd. $. Die Gesamtsumme entspricht 16% des US-BIP. Im Vergleich: Die „Saving & Loan“-Krise kostete 350 Mrd. $. Davon betrugen die direkten Kosten 275 Mrd. $ und die zusätzlichen Kosten der Rezession (1990/91) 75 Mrd. $. Es entsprach rund 6% des BIP.


Mortgage Equity Withdrawal (MEW = Kreditaufnahme auf das Wohneigentum zu Konsumzwecken), Graph: Alan Blinder & Mark Zandi

Blinder und Zandi teilen die Auswirkungen der Stützungsmassnahmen in zwei Komponente ein: (1) Fiskal Stimulus (Konjunkturprogramm) und (2) Finanzmarktpolitische Massnahmen (wie z.B. TARP, bekannt auch als Bailout, Quantitative Easing (QE) Politik der Fed, Stresstest für Banken usw.). Die Autoren behaupten, dass der Wallstreet Rettungsplan (Bailout) eine relativ stärkere Wirkung gehabt habe als das Konjunkturprogramm: (a) Wäre das Konjunkturprogramm allein ausgeführt worden, wäre das reale BIP im vergangenen Jahr um 5% geschrumpft, mit 12 Mio. Arbeitslosen, (b) wären nur die Bailout-Massnahmen ergriffen worden, also ohne Fiskal Stimulus, dann wäre das BIP um ca. 4% gefallen, mit 10 Mio. Arbeitslosen.


Output Gap (Produktionslücke), Graph: Alan Blinder & Mark Zandi

Er sei sehr überrascht, dass sie so grosse Auswirkungen herausgefunden haben, sagt John Taylor, Standford-Wirtschaftsprofessor und Senior Fellow an der Hoover Institution. Die Studie entspreche überhaupt nicht seiner empirischen Arbeit. Die Meinungsverschiedenheit unterstreicht zum Teil, in wieweit die ökonometrischen Schätzungen auf die zugrunde liegenden Annahmen und Modelle angewiesen sind. Blinder und Zandi hoffen in diesem Sinne, dass ihre Arbeit kritischer Überprüfung durch andere Wissenschaftler standhalten kann.

Hier sind die Schätzungen (Estimated Impact of the ARRA) von CBO.

Fazit: Blinder und Zandi ziehen also den Schluss, dass TARP > Konjunkturprogramm ist. Das wird bestimmt weitere Diskussionen auslösen.

Mittwoch, 28. Juli 2010

Net Stable Funding Ratio (NSFR)

Der Basler Ausschuss hat am Montag einige Vorschriften für die Banken bereits abgeschwächt. Der Grund: Die Proteste von Banken. Besonders umstritten sind die Verschuldungsquote (leverage ratio) und das Liquiditätspuffer (NSFR = Net Stable Funding Ratio). Banken versuchen Neuregulierung („Basel III“) aufzuweichen. Während im Ausschuss die Länder wie die USA, die Schweiz und Grossbritannien für strengere Regulierung plädieren, setzen sich Deutschland und Frankreich für Konzessionen für Banken ein. Der Ausschuss für Bankenaufsicht hat insbesondere den Zeitrahmen für die Durchführung der NSFR von Anfang 2013 bis Anfang 2018 verlängert. Beim NSFR handelt es sich um ein Liquiditätsmass, welches dafür sorgen soll, dass die Laufzeiten von Anlagen und Verbindlichkeiten stärker in Einklang gebracht werden. Die neue Kennziffer zielt also auf die Fristenkongruenz von Finanzierung und Anlagen ab. Beispielsweise dürfen 30-Jahre-Hypotheken nicht mehr über 30-Tage-Papiere finanziert und über ausserbilanzielle Vehikeln gehalten werden, wie David Milleker von Union Investment treffend beschreibt.

Die Banken wehren sich dagegen, weil ihr Bedarf an flüssigen Mitteln steigen würde. Die NSFR will aber durch die Begrenzung der Inkongruenz zwischen den Fristenstrukturen verhindern, dass die Aktiv- und die Passiv-Seite der Bankbilanz auseinanderdriften. Damit sollen die sog. Finanzierungslücken vermieden werden. Einerseits soll die Liquidität der Aktiva, und andererseits die Stabilität der Passiva gesichert werden. Die NSFR dürfte zudem die Fähigkeit der Banken, über die Fristentransformation übermässig Kredit zu schöpfen, einschränken. Seit Beginn der 1980er Jahren ist die Kreditschöpfungsfähigkeit des Shadow Banking System (Schatten Bankensystem) erheblich gestiegen. Wie die Finanzkrise deutlich vor Augen geführt hat, sind aber die vergebenen Kredite seit der Trennung der Banken in Geschäfts- und Investmentbanken überwiegend in Casino-Aktivitäten und weniger in klassischen Bankaktivitäten eingesetzt worden. Die Kreditschöpfung kam also nicht produktiven Investitionen in der Realwirtschaft zugute. Während die Banken sich wegen ihrer kurzfristigen Scheingewinne rühmten, war der ökonomische und soziale Nutzen der dabei eingesetzten Finanzinnovationen gleich Null. Die Kosten haben die unbeteiligten Steuerzahler tragen müssen.

Welche Auswirkungen hat aber die Kategorisierung von Aktiva und Passiva von Banken am Interbankenmarkt für Refinanzierung? Der Basler Ausschuss nimmt Finanzsektor-Aktiva aus seiner Definition von Liquiditätspuffer-Assets aus. Weil der der Bank für Internationalen Zahlugsausgleich (BIS) zugehörige Ausschuss glaubt, dass das systemische Risiko sich nicht verringert, wenn Banken gegenseitig Wertschriften kaufen. Das bedeutet, dass die Banken keinen Anreiz haben, die Schuldverschreibungen von anderen Banken zu kaufen, bemerkt das Zinsmärkte-Research Team von Nomura, wie von FT Alphaville zitiert. Das hat aber im Gegenzug das Potenzial, die Liquidität für Refinanzierung zu reduzieren und die fixen Sätze relativ zu OIS ("overnight indexed swap rate") und Leitzinsen auszuweiten. Das heisst, dass die Banken jetzt seit der verzögerten Umsetzung der NSFR mehr Zeit haben, ihre kurzfristigen Refinanzierungsgeschäfte am Interbankengeldmarkt (wholesale funding) zurückzubilden, was aber bedeutet, dass die Nachfrage nach kurzfristigen „bank instruments“ wahrscheinlich schneller fallen wird als die Banken mit der Ausgabe davon Schritt halten können. Der Preis für die Milderung des Liquiditätsrisikos dürfte also ironischerweise vorerst die Liquidität am Interbankenmarkt verschärfen, argumentiert Tracy Alloway von FT Alphaville.

Warum Haushaltskonsolidierung im Abschwung irreführt?

Im Jahre 1937 schrieb Keynes, dass der Aufschwung, nicht der Abschwung der richtige Zeitpunkt für Sparmassnahmen ist. Jean-Claude Trichet, EZB-Präsident ist damit nicht einverstanden. Seine Argumentation am vergangenen Freitag in FT lautet, dass fiskalpolitische Sparmassnahmen erforderlich sind, um die Erholung der Wirtschaft zu konsolidieren. Das hat sich zu einem Standard der europäischen (nicht amerikanischen) Wirtschaftspolitik entwickelt, bemerken Robert Skidelsky und Michael Kennedy in einem lesenswerten Essay („Future generations will curse us for cutting in an slump“) in FT. Über vage Hinweise auf die Notwendigkeit zur Wiederherstellung des Vertrauens hinaus kann aber keiner der Haushaltskonsolidierer erklären, wie die Kürzung der Staatsausgaben die Wirtschaft konsolidieren soll, wenn die privaten Ausgaben bereits depressiv sind.

Im Gegensatz dazu kann die keynesianische Theorie leicht erklären, warum es nicht geht. Der Staat ist, wie Keynes argumentiert, die einzige Behörde, welche einen Rückgang der Gesamtausgaben in einer Wirtschaft unter ein vernünftiges Beschäftigungsniveau verhindern kann. Wenn die privaten Ausgaben depressiv sind, kann der Staat die Gesamtausgaben auf einem vernünftigen Niveau wiederherstellen, indem er seine Ausgaben erhöht oder die Steuern senkt, erläutern Skidelsky und Kennedy weiter. Dabei ist das Defizit, das zunimmt, bereits (wegen der Rezession) die Folge von sinkenden Steuereinnahmen und steigenden Leistungen. Das Defizit hat die Funktion der Aufrechterhaltung der Gesamtausgaben und der Produktion (output) in einer Wirtschaft, halten die Autoren fest. Jeder Versuch, die Ausgaben zu kürzen, bevor eine starke Dynamik im privaten Sektor sich etabliert hat, wird die Sache verschlimmern. Sobald die Wirtschaft beginnt, zu wachsen, wird das Defizit, welches in der Rezession entstanden ist, sich automatisch auf das Vor-Rezession Ebene zurückbilden, argumentieren Skidelsky und Kennedy. Gezielte Schritte zur Beseitigung des strukturellen (d.h. nicht Rezession induzierten) Defizits sollten vertagt werden, bis die wirtschaftliche Erholung sich fest verankert. Mit einem ausgeglichenen Haushalt oder sogar einem Haushalt im Überschuss, mit einem hohen Beschäftigungsniveau wird ein weiteres Wachstum die Staatsverschuldung als Prozentsatz des BIP verringern, genau so wie es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geschehen ist. In keynesianischer Theorie sind Geld- und Fiskalpolitik Teile eines einzigen Prozesses, nicht Alternativen, halten die Autoren fest. In den früheren Stadien mag Geld geschaffen worden sein, um das Defizit zu finanzieren. Die Geldausgaben erzeugen jedoch zusätzliche Ersparnisse („extra saving“), die erforderlich sind, um die Investitionen zu „zahlen“. Der Anstieg des Volkseinkommens steigert öffentliche Einnahmen, was wiederum verhilft, das Defizit zu reduzieren, erläutern Skidelsky und Kennedy.

Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht stellt das Defizit keine Last für die künftigen Generationen dar. Es gibt keine Rückzahlungslast, weil der Staat im Gegensatz zu Privatpersonen, normalerweise ihre fälligen Schulden durch Krediaufnahme bedienen kann. Der letzte Ausweg ist Gelddrucken.

Die keynesianische Theorie widerspricht der Trichet-Doktrin, dass die privaten Ausgaben deswegen depressiv sind, weil Ängste über die Nachhaltigkeit oder künftige Kosten des Defizits bestehen. Die richtige kausale Erklärung ist, dass die privaten Ausgaben gedrückt sind, weil die Gesamtnachfrage in der Wirtschaft depressiv ist. Das Defizit ist die Folge, nicht die Ursache, von depressiven Geschäftserwartungen der Unternehmen.

Michael Kennedy, ein ehem. Berater beim Schatzamt, und Lord Skidelsky ist Professor emeritus an der Warwick University.

10 Jahre US-Dollar Swap-Spread fällt erneut unter Null

Der 10 Jahre Swap Spread ist gestern wieder negativ geworden. Der 30 Jahre US-$ Swapsatz, der bereits seit dem Ausbruch der Finanzkrise niedriger liegt als die Rendite der 30-jährigen US-Treasuries, bleibt nach wie vor negativ. Der 10 Jahre Swap Spread weist somit erstmals seit März dieses Jahres wieder eine fallende Form auf. Warum? Womöglich stecken erneut technische Faktoren dahinter. Wie ist es sonst möglich, dass die Swap-Sätze, die sich auf die Renditen von US-Treauries beziehen, niedriger liegen als die Referenz-Zinsen? Das Ganze hat mit der Hedging-Nachfrage zu tun. Options-Händler, die hohe Exposures im Segment von 10- und 30-jährigen Anleihen haben, streben feste Zahlungen v.a. im 30-jährigen Bereich von Swaps an. Ihre Nachfrage treibt die Spreads der entsprechenden Swaps nach unten. Viele Händler wollen derzeit variable Sätze (verkaufen) gegen fixe Sätze (kaufen) tauschen (swap).


Swap Spreads (7 Jahre und 10 Jahre), Graph: Courtesy of Jim Caron and Igor Cashyn, Morgan Stanley



Die neue Konstruktion reflektiert mehr oder weniger die Besorgnisse der Marktteilnehmer über Finanzierungbedingungen am sich ständig wechselnden Marktumfeld. Bei der Versteigerung von 2-jährigen amerikanischen Staatspapieren im Volumen von 38 Mrd. $ hat sich gestern eine Höchstrendite von 0,665% ergeben. Das war der niedrigste Wert, der jemals ermittelt wurde. Das bid/cover-Verhältnis blieb mit 3,33 (vergangene Woche: 3,45) relativ hoch. Das heisst, dass die Nachfrage nach wie vor robust ist. Die Händler gehen davon aus, dass die US-Notenbank die Zinsen in absehbarer Zeit nicht erhöhen wird. Das amerikanische Schatzamt wird am Mittwoch 5-jährige Papiere im Umfang von 37 Mrd. $ und am Donnerstag 7-jährige Papiere im Volumen von 29 Mrd. $ versteigern.



Swap Spreads (30 Jahre), Graph: Courtesy of Jim Caron and Igor Cashyn, Morgan Stanley

Dienstag, 27. Juli 2010

Reziprokes Dumping

Die Lektüre ist wahrlich ein Hochgenuss. Paul Krugman geht heute erneut auf das Thema „market cornering“ im Zusammenhang mit „Chocfinger“ ein. Der Startpunkt ist „reziprokes Dumping“. Stellen Sie sich zwei getrennte nationale Märkte für ein Gut vor, schreibt Krugman, die jeweils von einem Monopolisten beherrscht werden und das Gut gar nicht verschifft (ausgeliefert) werden kann. In jedem Markt setzt der Monopolist den Preis über den Grenzkosten fest. Warum? Weil es gemäss Regel gilt: Grenzkosten gleich Grenzerlös. Und Grenzerlös ist kleiner als der Preis, weil jede zusätzliche Einheit, den der Monopolist herstellt, den Preis auf alle seine inframarginalen Einheiten senkt. Nehmen wir der Einfachheit halber weiter an, dass die beiden Märkte und der Preis, der in beiden Märkten berechnet wird, identisch sind.

Nun machen wir es möglich, dass das Gut international verschifft werden kann, aber zu erheblichen Kosten pro Einheit. Man könnte denken, dass es keinen Grund gibt, dass ein Handel stattfindet, weil es zu teuer ist, das Gut per Schiff auszuliefern und die Preise in den beiden Märkten identisch sind. Jeder Monopolist aber dürfte es, durch den unilaterale Handel, dennoch profitabel finden, manche seiner Güter auf den anderen Markt zu liefern. Denken wir darüber nach, wie es funktioniert: Wenn der Monopolist eine Einheit seiner Güter im Ausland verkauft, hat er höhere Grenzkosten als wenn er im Inland verkaufen würde, weil die Verschiffung etwas kostet. Doch während der Verkauf eines weiteren Gutes im Inland auf den Preis für seine inframarginalen Verkäufe drückt, drückt der Verkauf eines zusätzlichen Gutes im Ausland auf den Preis für die inframarginalen Verkäufe des anderen Monopolisten. Wenn also die Unternehmen unilateral handeln, hat jeder davon einen Anreiz, seine Güter im Heimatmarkt des anderen abzusetzen. Was hat das alles aber mit „market cornering“ zu tun? Angenommen schafft „Chocfinger“ es irgendwie, einen grossen Teil des diesjährigen Angebots an Schokoriegeln zu kaufen. Wenn er nun einen Schokoriegel lagert und diesen im nächsten Jahr verkauft, erhöht er die Preise in diesem Jahr (indem er die Menge des Angebots reduziert) und senkt die Preise im nächsten Jahr. Während aber „Chocfinger“ von den höheren Preisen in diesem Jahr profitiert, weil er das gegenwärtige Angebot in die Enge getrieben hat („cornering“), erleidet er keinen vergleichbaren Verlust aus niedrigeren Preisen im nächsten Jahr, weil er das Angebot des nächsten Jahres nicht in die Enge getrieben hat („not cornering“). Es ist wie die Geschichte des reziproken (wechselseitigen) Dumping, erklärt Krugman: Wen kümmert es, wenn du auf den Preis für die inframarginalen Einheiten eines anderen Unternehmens drückst.

Deflation Mysterien

Paul Krugman schreibt in seinem Blog, dass er das Rätsel über die schrittweise erfolgende Deflation im japanischen Stil erklären will, weil er sich nicht sicher ist, ob die Leser überhaupt verstehen, was das Rätsel ist und dass es eigentlich eine Literatur zu diesem Rätsel gibt. Das Thema „Deflation als Rätsel“ war in dem von uns gestern in diesem Blog zitierten lesenswerten Artikel von Jon Hilsenrath in WSJ angesprochen worden. Seit Friedman und Phelps die Hypothese von „natural rate“ in den 1960er Jahren vorgelegt haben, beruft sich die angewandte Makroökonomik auf irgendeine Art von inflationsbereinigter Phillips Kurve nach dem Vorbild

Tatsächliche Inflation = A + B * (Produktionslücke) + erwartete Inflation

wobei die Produktionslücke (output gap) der Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem potenziellen Output entspricht. A und B sind geschätzte Parameter. (Die Produktionslücke korreliert eng mit der Arbeitslosenquote).

Die erwartete Inflation wiederum reflektiert voraussichtlich die jüngsten Erfahrungen in der Vergangenheit. Diese Beziehung prognostiziert (a) einen Rückgang der Inflation, wenn die Wirtschaft depressiv und die Produktionslücke negativ ist und (b) einen Anstieg der Inflation, wenn die Wirtschaft überhitzt ist und die Produktionslücke (output gap) positiv ist, erläutert Krugman. „Diese Vorhersage funktioniert relativ gut für die moderne Erfahrung der USA und erklärt v.a. die Disinflation der Rezession (Volcker) in den 1980er Jahren und die Disinflation, die wir jetzt erleben“, so Krugman weiter.

Aber hier ist der Punkt: Die inflationsbereinigte Phillips Kurve sagt nicht nur Deflation voraus, sondern auch die beschleunigte Deflation angesichts eines wirklich verlängerten Abschwungs. „Nehmen wir an, dass die Wirtschaft ausreichend deprimiert ist, dass mit Inflationserwartungen von 3% die Inflation nur 1% beträgt. Die Erwartungen müssen irgendwann tatsächlich aufholen, dass, wenn die Wirtschaft depressiv bleibt, die erwartete Inflation auf minus 1% geht. Wenn aber die Wirtschaft über eine längere Zeit depressiv bleibt, müssten wir damit rechnen, dass die erwartete Inflation auf minus 3% und dann auf minus 5%, und so weiter geht“, legt der Nobelpreisträger dar. „In der Realität passiert das nicht. Die Preise fielen zu Beginn der Grossen Depression drastisch, als die reale Wirtschaft zusammenbrach. Aber sie begannen, wieder zu steigen, als die Wirtschaft begann, sich zu erholen, auch wenn es noch eine grosse Produktionslücke gab. Japans Wirtschaft war niedergeschlagen. Aber seine chronische Deflation hat sich nie in eine Abwärtsspirale gedreht“, argumentiert Krugman.

Es gibt eine Reihe von Literatur, hebt der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor hervor: Die abwärtsgerichtete Nominallohn-Rigidität, von Pierre Fortin, Janet Yellin, George Akerlof und Co-Autoren. In diesen Arbeiten wird argumentiert, dass es eine abwärtsgerichtete Inflexibilität in Preisen und Löhnen gibt, auch nachdem die Erwartungen genug Zeit gehabt haben, sich voll anzupassen, bemerkt Krugman. Und es gebe einen empirischen Beweis in diesem Sinne, fügt er hinzu. Warum ist das aber wichtig? (1) Es erklärt, wie nachhaltig schrittweise Deflation andauern kann, (2) Es bietet einen Grund, (über Bedenken über die Zinsen bei der Null-Grenze hinaus), ein positives Inflationsziel anzusteuern: Bei einer niedrigen Inflation „wollen“ mehr Preise und Löhne fallen, aber sie sind wegen der abwärtsgerichteten Rigidität (Starrheit) blockiert, so Krugman. Selbst in der längeren Frist ist die Phillips Kurve nicht vertikal bei niedriger Inflation. Und man kann dauerhaft niedrige Arbeitslosigkeit haben, indem man beispielsweise eine Inflation von 4% akzeptiert, statt auf stabile Preise zu bestehen, ist Krugman überzeugt und (3) Krugman befürchtet, dass das in Zukunft ein wichtiges Thema sein wird. Es sei daher wichtig, die nach unten gerichtete Rigidität (Starrheit) zu berücksichtigen, um sich von der Annahme einer anhaltend depressiven Wirtschaft als normal täuschen zu lassen. Amerika 2014: Die Arbeitslosigkeit beläuft sich nach wie vor auf rund 9,0%. Die Preise fallen jährlich um 1%. Viele Ökonomen könnten sich das Bild ansehen und sagen: na ja, die Deflation ist stabil, sie beschleunigt sich nicht. So müssen wir uns mit der natürlichen Arbeitslosigkeit zufrieden geben: „Treten Sie bitte zurück, hier gibt es nichts zu sehen“.

Fazit: Es ist Zeit, damit anzufangen, sich auf die Abwärtsrigidität zu fokussieren, so Krugman als Schlussfolgerung. Alle Indikationen deuten darauf hin, dass „wir für eine lange Zeit mit einer depressiven Wirtschaft zu tun haben werden“.

US-Arbeitsmarkt: Nimmt die strukturelle Arbeitslosigkeit zu?

The Economist fragt wieder eine Reihe von renommierten Ökonomen nach ihrer Meinung, ob die USA einem Zuwachs der strukturellen Arbeitslosigkeit gegenüber stehen, und wenn ja, was zu tun ist? Zu den befragten Volkswirten zählen u.a. Daron Acemoglu, Scott Sumner, Richard Koo, Mark Thoma. Eine der Standard-Antworten auf die Frage beruht auf Bildung als Schlüssel für die guten Arbeitsplätze in Zukunft, bemerkt Thoma. Er ist zwar mit der Botschaft mit Vorbehalten einverstanden, aber er möchte die Aufmerksamkeit auf einen anderen Aspekt der Produktionsfunktion lenken: Kapital. Eine Standard makroökonomische Produktionsfunktion setzt voraus, dass die Wirtschaftsleistung (output) eine Funktion von zwei Hauptklassen von Inputs ist: Kapital und Arbeit. Die Technologie bringt diese Inputs zusammen, um Güter und Dienstleistungen herzustellen.

Y = F (K, L)

Y=Output, K=Kapital, L=Arbeit,
Technologie ist in der Funktion F eingebettet.

Das Produktionswachstum hängt dann vom Wachstum von Arbeit, Kapital und Technologie ab, erklärt Thoma. Der Standard-Schwerpunkt, der auf Bildung beruht, ist ein Versuch, um eine Einheit Arbeit produktiver zu gestalten und das Wachstum der Technologie zu maximieren. Das Wirtschaftswachstum hängt aber auch vom Wachstum des Kapitals ab. Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik ist so viel wie möglich mit der Zunahme des privaten Kapitals verbunden und die Wirtschaftspolitik war im letzten Jahrzehnt sicherlich in diese Richtung gekippt. Was vernachlässigt wurde, ist das Kapital der öffentlichen Hand, erklärt der an der University of Oregon lehrende Wirtschaftsprofessor.

Wenn wir die guten Arbeitsplätze hier ansiedeln wollen, brauchen wir die Infrastruktur, um sie zu unterstützen. „Wenn wir nicht über ausreichende Investitionen in digitale Technologie, Transport-Infrastruktur und andere öffentliche Investitionen verfügen, welche uns erlauben sowohl intern effizient Güter zu liefern als auch auf globaler Ebene zu konkurrieren, dann werden wir verlieren“, hält Thoma fest. „Wir werden nicht in der Lage sein, gut bezahlte Arbeitsplätze als Ersatz für die Jobs, die wir in der Vergangenheit wegen Faktoren wie Technologie und Outsourcing verloren haben, bereitzustellen und Arbeitsplätze anzubieten, die für eine wachsende Bevölkerung erforderlich sind, wenn wir mit zu geringen Investitionen in den öffentlichen Kapitastock fortfahren“, so Thoma.

Öffentliche Investitionen sind zu lange ignoriert worden, selbst in einer so schlechten Rezession wie in dieser, argumentiert Thoma weiter. Eine Rezession, die Investitionen in Infrastruktur günstiger macht als in normalen Zeiten durch alle ungenutzte Ressourcen, die verfügbar sind, eine Rezession, die Gründe für Arbeitsplätze wie Investitionsausgaben liefert. Wenn wir für Amerika die bestmögliche Zukunft bereitstellen wollen, muss sich das ändern“, fasst Thoma als Fazit zusammen.

Richard Koo vertritt die Ansicht, dass es keinen Grund für einen Anstieg der strukturellen Arbeitslosigkeit im Anschluss an eine gewöhnliche Rezession oder Finanzkrise gibt. „Doch die USA leiden heute unter Bilanz-Rezession (balance sheet recession), einer sehr seltenen Krankheit, welche erst nach dem Platzen einer landesweit fremdfinanzierten Asset-Preis-Blase geschieht, erklärt der Chefökonom von Nomura Research Institute, Tokio. In dieser Art von Rezession minimiert der private Sektor die Schulden, anstatt den Gewinn zu maximieren, weil der Zusammenbruch der Vermögenswerte die Bilanzen in einem ernsten Zustand von übermässigen Verbindlichkeiten hinterlässt, die dringend einer Reparatur bedürfen. Wenn der private Sektor mit dem Schuldenabbau (deleveraging) beginnt, während die Zinsen bei Null liegen, dann gerät die Wirtschaft in eine deflationäre Spirale, weil die aggregierte Nachfrage gleich der Summe der nicht-geliehenen Einsparungen und Schuldenrückzahlungen abhanden kommt, erklärt Koo. Unbeaufsichtigt gelassen schrumpft die Wirtschaft weiter, bis entweder der private Sektor repariert ist, oder der private Sektor zu arm wird, um überhaupt Geld (= Depression) zu sparen. Das letzte Mal ist diese deflationäre Spirale während der Grossen Depression in den USA passiert, so Koo als Fazit.

Montag, 26. Juli 2010

Israelische Zentralbank (BoI) erhöht Leitzins auf 1,75 Prozent

Die Bank of Israel (BoI) hat heute ihren Leitzins um 25 Basispunkte auf 1,75% angehoben. Der Zinsentscheid steht laut BoI im Einklang mit dem schrittweise erfolgenden Prozess der Rückkehr der Zinsen auf ein „normales“ Niveau, in der Absicht, die Inflation im Zielbereich fest zu verankern und zur Erholung der Wirtschaft weiter beizutragen, bei gleichzeitiger Unterstüzung der Stabilität des Finanzsystems. Der Verlauf des Zinssatzes werde in Übereinstimmung mit dem Inflationsumfeld, der Verankerung des Wirtschaftswachstums sowohl in Israel als auch weltweit und mit der Geldpolitik der führenden Zentralbanken und im Lichte der Entwicklungen des Wechselkurses von Schekel bestimmt, so die israelischen Währungshüter. Die Geldpolitik bleibt auf dem gegenwärtigen Niveau der Zinsen weiterhin expansiv.



Bank of Israel, Benchmark Interest Rate, Graph: Bloomberg.com

Die Hauptüberlegungen, die hinter dem heutigen Zinsentscheid der BoI stehen:

(1) Inflationsprognosen der BoI und der privaten Prognostiker und die Erwartungen, die aus den Kapitalmärkten abgeleitet werden, steuern jetzt auf die obere Grenze des Zielwertes der Inflation zu. Die Einschätzung der BoI im Hinblick auf die Inflation für die nächsten 12 Monate sind im vergangenen Monat im Lichte der Schekel-Schwäche, des anhaltenden Anstiegs der Hauspreise und der geplanten Erhöhung der indirekten Steuern nach oben revidiert worden.

(2) Hauspreise und der Housing Index legen weiterhin rasch zu, zusammen mit einer Expansion der Hausbaukredite.

(3) Die verfügbaren Daten in diesem Monat in Sachen Wirtschaftsaktivität präsentieren ein gemischtes Bild. Einer aktuellen Einschätzung nach dürfte jedoch die positive Entwicklung sich fortsetzen, in Übereinstimmung mit der BoI-Prognose einer allmählichen Kontraktion der Produktionslücke.

(4) Die Zinssätze der Zentralbanken in den führenden Industrieländern sind sehr niedrig und sie werden im Lichte der jüngsten Entwicklungen für eine längere Zeit auch so bleiben. Das heisst, dass die Zentralbanken in mehreren Ländern, in denen die Wirtschaft relativ schnell wächst, mit dem Prozess der Zinserhöhung fortfahren werden. Und sie werden dies voraussichtlich auch in naher Zukunft fortsetzen.

Fazit: Die BoI hat heute angesichts der steigenden Immobilienpreise und der hohen Inflationserwartungen ihren Leitzins erstmals seit vier Monaten erhöht. Obwohl die Inflation im Juni auf 2,4% gefallen ist, sind die Inflationserwartungen für die kommenden 12 Monate auf 3,3% gestiegen. Stanley Fischer, BoI-Gouverneur scheint nun Inflationserwartungen eine grössere Bedeutung beizumessen.

Die CDS-Prämien (5 Jahre) für israelische Staatsanleihen sind im laufenden Monat unverändert geblieben. Die Risikoprämien betragen 115 Basispunkte, im Einklang mit den Risikoprämien rund um die Welt.

Die nächste BoI-Sitzung wird am 23. August stattfinden.

Wissen Ökonomen überhaupt, wie Deflation funktioniert?

Das alte Schreckgespenst der Deflation ist wieder aufgetaucht, schreibt Jon Hilsenrath in einem lesenswerten Essay („Deflation Defies Expectations – and Solutions“) in WSJ. Nach einem Studium von mehr als einem Jahrzehnt der Deflation in Japan realisieren Ökonomen, dass sie keine Ahnung haben, wie die Deflation funktioniert, bemerkt Hilsenrath. Deflation hängt i.d.R. mit einem Nachfrage-Einbruch in einer Depression zusammen. Verbraucherpreise, Einkommen und Asset-Preise fallen. Die Zinssätze gehen auf Null, so tief wie sie gehen können. Während die Preise und Einkommen sinken, nehmen die Kosten des Schuldendienstes der Kreditnehmer nicht ab. Das saugt der Wirtschaft das Leben und treibt die Preise weiter nach unten. Eine schlechte Situation, die sich verschlimmert, erklärt Hilsenrath.


Veränderungen in den Verbraucherpreisen in den USA während der Grossen Depression und in Japan in den vergangenen 16 Jahren, Graph : Jon Hilsenrath, WSJ.

Im Jahre 1932 sind die Verbraucherpreise in den USA um 10% gefallen. Zwischen 1929 und 1933 sind sie um 27% gesunken. Aber Japans Erfahrung sieht überhaupt nicht so aus, argumentiert Hilsenrath weiter. Die Deflation fiel überraschend mild aus: eine langwierige Angelegenheit, anstatt tief, destruktiv und konzentriert in ein paar Jahren. Die Verbraucherpreise sind in Japan seit 15 Jahren rückläufig. Sie sind aber nie um mehr als 2% in einem Jahr gefallen. Japans Deflation war ein Sumpf. Aber keine zerstörische Abwärtsspirale, wie viele Ökonomen vorhergesagt haben, hält Hilsenrath fest. Warum? Und was bedeutet das für den Rest der Welt von heute? „Wir wissen nicht, wie Deflation funktioniert“, sagt Adam Posen, Mitglied des geldpolitischen Ausschusses der Bank of England (BoE). Posen studiert Japan seit 1997. Irland erlebt Deflation bereits. Spanien flirtet damit. Die von der US-Notenbank (Fed) bevorzugte Inflationsmasseinheit betrug im Juni 1,3% im Vergleich zum Vorjahr. Das ist ein Wert, der unter der informellen Zielmarke der Fed von 1,5 bis 2,0% liegt. Kommt die Erholung der Wirtschaft zum Stocken, könnten die Preise ins Negative drehen.

Fazit: Die gute Nachricht ist, dass die Fed möglicherweise eine deflationäre Spirale im Stil einer Depression nicht befürchtet. Die schlechte Nachricht ist aber, dass die US-Wirtschaft jahrelang darin stecken dürfte so wie Japan, falls sie in eine Deflation fiele. Das würde suboptimales Wachstum bedeuten, schlussfolgert Hilsenrath.

Kakao-Markt: Chocolate Finger und Cornering

Die Nachfrage am Kakaomarkt übersteigt derzeit das Angebot. Der Kakao-Preis ist mittlerweile auf den höchsten Stand seit 30 Jahren gestiegen. Seit 2008 ist der Preis um 150% geklettert. Am Futures-Markt herrscht eine ungewöhnliche Preisstruktur: Backwardation. Das heisst, dass der Terminpreis günstiger (d.h. geringer) ist als der Spotpreis (d.h. der aktuell zu bezahlende Preis). Die Laufzeit der Futures ist bekanntlich vornherein begrenzt. So müssen die Futures-Kontrakte während der Laufzeit regelmässig getauscht („rollen“) werden. Da die Forward-Kurve fällt, winken Rollgewinne. Das bedeutet, dass der Investor mit dem Verlängern der Kontrakte in die nächstlängere Laufzeit („rollen“) eine Rendite verdient (Rollgewinne). Was und/oder wer steckt hinter der Entwicklung am Kakao-Markt? Vergangene Woche wurde bekannt, dass ein Handelshaus in Agrarrohstoffen aus Grossbritannien an der Terminböse NYSE Liffe in London Terminkontrakte auf Kakao im Wert von 1 Mrd. $ gekauft hat. Das Unternehmen heisst Armajaro, welches zugleich einen Hedge-Fonds (Assets: mehr als 1,5 Mrd. $) betreibt. Das von Anthony Ward im Jahre 1998 gegründete Unternehmen hat nun Anspruch auf Lieferung von 241'100 Tonnen Kakao-Bohnen, wie NYT („Trader’s Cocoa Binge Wraps Up Chocolate Market“) berichtet. Das entspricht 7% der globalen Jahresproduktion von Kakao. Der deutsche Kakao-Verband hat bereits einen Brief an die Londoner Terminbörse geschickt. Die Beschwerde betrifft Marktmanipulation.

Es zeichnet sich die Gefahr von kurzfristigen Lieferschwierigkeiten ab. Händler und Unternehmen sind gezwungen, eine hohe Prämie für Kakao zu zahlen. Ward, der ehemalige Kakao- und Kaffee-Händler wird in der britischen Presse indes als „Choc Finger“ genannt. Zu den Kunden von Armajaro, dem Grosshändler von Kakao und Kaffee mit Niederlassungen (buying operations) in der Elfenbeinküste, Indonesien und Ecuador, zählen Lindt & Sprüngli und Kraft. Ist es verboten, grosse Menge Kakao zu kaufen? Nein. Die Preisverzerrungen haben aber heute ohne Zweifel mit „market cornering“ (hier ist ein alter, aber ausgezeichneter Artikel von Krugman dazu) zu tun. Das heisst, dass es einem Handelshaus gelingt, den Markt in die Enge zu treiben. Wie ist es möglich? Betrachten wir einen Zwei-Perioden-Markt, beschreibt Paul Krugman in seinem Blog, mit der Möglichkeit, in der Periode 1 ein Gut zu lagern und es in der Periode 2 zu verkaufen. In einem wettbewerbsfähigen Markt ist es aber nicht Wert, so zu handeln. Denn der erwartete künftige Preis ist entweder niedriger als der gegenwärtige Preis oder der Preis ist nicht genug hoch, die Zins- und Lagerkosten zu decken.

Nun nehmen wir an, dass ein Händler es geschafft hat, heimlich (betrügerisch) einen grossen Teil der Lieferung der Periode 1 in Besitz zu nehmen, bevor die Lieferung auf den Markt geht. Hat er einen Anreiz, einen Teil des Angebots aus dem Markt zu halten und in der Periode 2 zu liefern? Ja. Angenommen der Händler besitzt eine Million Schokoriegel (candy bars). Indem er einen Schokoriegel bis zur Periode 2 aus dem Markt hält, kann er etwas Geld darauf verlieren. Aber er kann den Preis von anderen 999'999 Schokoriegeln hoch treiben, was ihm den Anreiz geben würde, einige seiner Schokoriegel in der nächsten Periode zu liefern, auch wenn es auf der Oberfläche wie ein Verlustgeschäft aussieht. Oder anders ausgedrückt dürfte der Chocfinger durch den Erwerb eines grossen Teils der Lieferung (des Angebots) in der Periode 1 eine Situation geschaffen haben, in welcher sein Grenzerlös aus der gegenwärtigen Periode (im Gegensatz zur künftigen Periode) des Candy Bar-Verkaufs ziemlich niedrig ist, was es profitabel macht, Schokoriegel aus dem Markt zu halten. Das hört sich wie eine Geschichte aus der Raubritter-Ära an, aus der Zeit von Jay Gould und Jim Fisk. Es gab weltweit einen Ansturm, die Finanzmärkte zu deregulieren, um die guten alten Tage des 19. Jahrhunderts zurückzubringen, wo Investoren Geld verdienen konnten, wo es ihnen passte, erklärt Krugman. Die Affäre erinnert uns daran, dass nicht alle profitablen Geschäfte, die ungezügelte Investoren mit ihrem Geld tun, sozial produktiv sind. Vielleicht wird uns das daran erinnern, warum die Finanzmärkte an erster Stelle reguliert waren, fasst Krugman zusammen.

Sonntag, 25. Juli 2010

Baltic Dry Index: Indikator für die Entwicklung der Weltwirtschaft?

Der Baltic Dry Index (BDI), der international als Indikator für die Raten von Trockenfrachten anerkannt ist, ist jüngst um 60% eingestürzt. Die Frachtraten bilden sich zurück. Der Index hat, wie Izabella Kaminska von FT Alphaville berichtet, 35 Tage in Folge an Wert verloren. Ist das Frachtgeschäft zum Stocken gekommen? Nun werden Stimmen laut, dass der Index kein gültiger Indikator für die (künftige) Entwicklung der Weltkonjunktur ist. Erstmals seit 1985 ist der BDI im Juni in 20 separaten Handelstagen gefallen. Allerdings ist es so, dass kein anderer Monat Anspruch auf eine schlechtere Bilanz erheben kann wie der Juni. Der Monat Juni zeigt über mehrere Jahre hinaus eine rückläufige Tendenz. Das ist offenbar darauf zurückzuführen, dass der Capemax-Sektor von allen drei grossen Schiff-Klassen (Handysize und Panamax), die vom Index erfasst werden, im II. Quartal eine besonders starke Tendenz zum Rückfall aufweist, v.a. wegen der Abhängigkeit auf nur eine Handvoll wichtige Rohstoffe. Statistisch gesehen sinkt das Handelsvolumen von Eisenerz auf Monats-zu-Monats-Basis am grössten im II. Quartal. Tatsächlich sind die chinesischen Einfuhren an Eisenerz im Juni im dritten Monat in Folge gesunken.


Baltic Dry Index (BDI), Graph: Bloomberg.com

Der BDI als Preisindex misst die Raten für Trockenfrachten in der Seeschifffahrt auf 22 Standardrouten. Bei Frachtraten handelt es sich aber nicht nur um Erze und Metalle, sondern auch um Kohle, Getreide und Ölsaaten (die sog. Schüttgüter). Während auf der Nachfrageseite des BDI Produzenten und Importeure sind, befindet sich auf der Angebotsseite des BDI die Anzahl Schiffe. Die Schiffe sind jedoch unterschiedlicher Grösse. Und die Reichweite der Schiffe hat erhebliche Differenzen. Panamax sind Schiffe (Frachtkapazität: 60'000 bis 80'000 dwt), die den Panamakanal befahren können. Capemax sind Schiffe (Frachtkapazität: über 100'000 dwt), die zu gross sind, um den Panamakanal zu passieren. Handymax sind Frachter mit Ladekapazität von 45'000 bis 59'000 dwt (dead weight, d.h. maximal zulässige Ladefähigkeit eines Schiffes in Tonnen). Auf der Angebotsseite gibt es laut Analysten einen Anstieg der Bestellungen für neue Frachtschiffe in den Jahren 2007 und 2008. Die extrem hohen Frachtraten haben die Reedern animiert, neue Schiffe zu bestellen. Da es zwei bis drei Jahre dauert, ein Schiff zu bauen, kann es sein, dass das Angebot im Markt gerade jetzt zunimmt. Zudem wurden inzwischen viele ehemalige Öltanker zu Trockenfrachtern umgebaut. Es sei daher vorstellbar, dass der BDI in diesem Jahr weiter fällt, selbst wenn sich die Rohstoffpreise erholen sollten. Es sei denn, ein entsprechender Anstieg der Nachfrage nach Schifffahrt gleich die Zunahme an Angebot mehr als aus. Die Idee, den BDI als Frühindikator zu betrachten, könnte zwar einen logischen Sinn ergeben, aber die tatsächliche Erfolgsbilanz des Index fällt ziemlich schlecht aus, schreibt Julian Jessop von Capital Economics in seiner Studie (sorry, no link). Der Index schwanke rauf und runter zur gleichen Zeit wie globale Rohstoffpreise. Das ist kaum aufschlussreich, so Jessop. Grundsätzlich gebe es zwei Gründe, Vorsicht walten zu lassen, wenn man auf der Grundlage von BDI über Rohstoffe befinden will: (1) Schwankungen im Index können durch die Änderungen der Versorgung bei der Schifffahrt sowie in der zugrunde liegenden Nachfrage nach Rohstoffen auf dem Seeweg ausgelöst werden. Der BDI kann beispielsweise eine Zunahme an verfügbaren Schiffen für den Transport von Trockenschüttgut widerspiegeln, und (2) der BDI könnte durch vorübergehende Schliessung von Häfen, Änderungen bei den Kosten für Benzin und Versicherung verzerrt werden.

Ferner: Über eine lange Zeit gab es eine Korrelation (0,5%) zwischen dem BDI und dem S&P-500 Index. Im Jahre 2009 haben sich der Aktien-Index und der Baltic Dry Index in entgegengesetzte Richtungen entwickelt. Es hat sich im Vorjahr zumindest in den ersten fünf Monaten eine negative Korrelation von 0,4% ergeben, erklärt research reloaded. Während der BDI die Entwicklung der Frachtraten weltweit misst, es also dabei um Kosten geht, stellt die Aktie das Eigentum eines Unternehmens (i.d.R. als produktiven Vermögenswert) dar. Ein Unternehmen sucht nach Wegen, zu wachsen, seinen Wert zu steigern. Beim BDI ist hingegen davon auszugehen, dass die Kosten des weltweiten Verschiffens von Trockenschüttgut auf einer realen Grundlage des menschlichen Fortschritts sinken sollten. Vernünftige Gründe sprechen also dafür, die Preisentwicklung für den Seetransport von Trockenschüttgut gemessen am BDI nicht überzubewerten.

Potenzialwachstum: Warum es für die Geldpolitik wichtig ist

Paul Krugman ist schockiert und deprimiert über den Mangel der Dringlichkeit, welcher unter den politischen Entscheidungsträgern herrscht, die Produktionslücke zu schliessen. Es ist ein kein Geheimnis, dass fortgeschrittene Volkswirtschaften auf beiden Seiten des Atlantiks seit 2007 einen signifikanten Anstieg der Kapazitäten gesehen haben. Aber sie produzieren immer noch deutlich weniger als damals. Das ist die sog. Produktionslücke ( output gap), erklärt der Nobelpreisträger. Die Lücke ist angenommen 6 Prozent. Ferner ist anzunehmen, dass das Produktionspotenzial jährlich 2 Prozent beträgt. Wie viel Wachstum braucht es in diesem Fall, um dorthin zurückzukommen, wo wir sein sollten? Wächst die Wirtschaft um 3%, was viele als Erfolg feiern würden, würde es 6 Jahre in Anspruch nehmen. Wächst die Wirtschaft um 4%, würde es noch 2 Jahre dauern. In diesem Zusammenhang geht der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor auf drei gute Fragen seiner Leserschaft ein.

(1) Warum setzt sich das Potenzialwachstum in einer Rezession fort? Ein Teil der Antwort liegt darin, dass eine Menge Potenzialwachstum die Investitionen reflektiert, die einige Zeit in der Vergangenheit getätigt wurden und erst allmählich aus der Produktion kommen, erklärt Krugman. Ein grösserer Teil der Antwort liegt andererseits darin, dass das Potenzialwachstum ( potential output) der Wirtschaft als Ganzes mehr als nur die Unternehmensinvestitionen widerspiegelt, sondern das Wachstum der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, das steigende Bildungsniveau, die technische Verbesserung und vieles mehr. Und die alle setzen sich auch weiterhin fort, selbst wenn Unternehmensinvestitionen depressiv sind. Für diejenigen, die ihre gesamte Produktionsfunktion kennen, macht das Wachstum des physischen Kapitals nur einen Bruchteil des langfristigen Wachstums des realen BIP aus, sodass ein Rückgang der Investitionen das Potenzialwachstum nicht zu einem Stillstand bringt.

(2) Beeinträchtigen Blasen das BIP durch Preisänderungen nicht? Doch Blasen beeinflussen das nominale BIP, aber die Rede ist hier von realem BIP, welches eine Volumen-Masseinheit ist.

(3) Wo kommt der Wachstumstrend von 2% für die Euro-Zone her? Das ist die Annahme, die Krugman getroffen hat, um die folgende Abbildung zu zeichnen. Eigentlich sei die Zahl ziemlich schnell zustande gekommen. Bei einem zweiten Blick auf die Daten hätte er eine etwas niedrigere Zahl annehmen können, so Krugman. Das reale BIP in der Euro-Zone ist von 2000 bis 2007 um 14% gestiegen. Also spiegelt 2% das tatsächliche Wachstum von einen Höhepunkt zum anderen Höhepunkt wider. Krugman gesteht jedoch, dass er damit falsch lag, es eine konservative Schätzung zu nennen. 1,5% wäre angemessen gewesen. Aber das macht keinen grossen Unterschied aus, weil die geschätzte Produktionslücke (output gap) in der Euro-Zone damit von 8 auf 7 verringert wird. Es ist immer noch eine immense Lücke.

Fazit: Blasen treiben die Nachfrage an. Aber sie steigern die Fähigkeit der Wirtschaft nicht, wenn überhaupt, sie reduzieren sie. Blasen mögen die Kapazitätsauslastung an die Spitze treiben. Dieser Höhepunkt gilt als ein guter Indikator, wie stark die Wirtschaft erzeugen kann, unabhängig davon, ob das Produzierte gekauft wird oder nicht. Wie kann aber eine Zentralbank wie die EZB jetzt nach einem Schluss von Stimulanz fordern und für die Straffung der Geldpolitik plädieren, während die Produktionslücke weit geöffnet bleibt?

Samstag, 24. Juli 2010

FDIC: Bankschliessungen klettern auf 103

Die FDIC (Einlagensicherungsbehörde) hat am Freitag laut Washington Post sieben Banken in Georgia, Florida, South Carolina, Kansas, Nevada, Minnesota und Oregon geschlossen. Damit ist die Anzahl der Banken, die im Jahre 2010 verstaatlicht wurden, auf 103 gestiegen. Die verstaatlichten sieben Bank verfügen über ein Anlagevermögen von insgesamt 2'153,6 Mio. $. Die Kosten der sieben geschlossenen Banken belaufen sich für die öffentliche Hand auf 431,0 Mio. Dollar.

Bankpleiten:
2010: 103
2009: 140
2008: 25
2007: 3

Mit 103 Schliessungen bundesweit übersteigt das Tempo der Bankpleiten in diesem Jahr bei weitem das des Jahres 2009. Zu diesem Zeitpunkt des Vorjahres hatten die Regulierungsbehörden 64 Banken geschlossen. Das Tempo beschleunigt sich mit dem Anstieg von Verlusten auf Darlehen für gewerbliche Immobilien und Entwicklung.

PS: Die FDIC hat im vergangenen Jahr 140 Banken geschlossen. Die Kosten für die Behörde: 30 Mrd. $. Die Behörde rechnet mit Kosten von 60 Mrd. $ von 2010 bis 2014 für die Beilegung von bankrotten Banken, wie sie vor einem Monat mitgeteilt hat.

Freitag, 23. Juli 2010

EZB: Von allen guten Geistern verlassen

Angelehnt auf den Titel des Buches „Lord of Finance“ von Liaquat Ahamed macht Paul Krugman auf die „Lord of Finance: Die nächste Generation“ aufmerksam: Die Männer, die geholfen haben, die Finanzkrise von 2008 in ein verlorenes Jahrzehnt der hohen Arbeitslosigkeit und der Deflation zu drehen. Und Jean-Claude Trichet wird sich eindeutig unter den wichtigsten Protagonisten befinden. Seine Kolumne in FT von heute ist beinahe eine Karikatur des Austerity-Genres, bemerkt Krugman in seinem Blog. Trichet’s Erklärung, warum wir die unsichtbaren „Bond Vigilantes“ befürchten müssen, wäre eigentlich ganz lustig, wenn die Folgen davon nicht so schwerwiegend wären, argumentiert der Nobelpreisträger zu Recht. Welche Beweise liefert Trichet? Keine, weil die Realität ist, dass die Anleihemärkte überhaupt nicht besorgt sind. Welches Modell meint Trichet? Keines, abgesehen von einem vagen Hinweis auf ein „nicht-lineares Phänomen“ (non-linear phenomena), was keines ist.


Europa’s Produktionslücke, Graph: Prof. Paul Krugman

Krugman kann es nicht fassen, ob er zu viel hinein interpretiert, was Trichet schreibt. Der EZB-Chef behauptet nämlich, dass fiskalpolitische Sparmassnahmen tatsächlich expansiv seien.

Wenn man Jean-Claude Trichet und anderen zuhört, könnte man den Eindruck bekommen, dass Europa sich auf dem Weg aus der Krise befindet, hält der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor fest. Krugman wirft daher einen Blick auf die tatsächlichen Zahlen (Eurostat) und stellt die folgende Abbildung zusammen. Der Anfangspunkt (Basis=100) ist das IV. Quartal 2007, als es Europa einigermassen gut ging, aber sicherlich keine inflationäre Überhitzung erlebte. Krugman geht dabei von einem jährlichen Potenzialwachstum (potenzieller Output) von 2,0% aus: Eine ziemlich konservative Annahme, auch für Europa. Das Ergebnis ist eine riesige Lücke zwischen einer vernünftigen Schätzung des Produktionspotenzials und der tatsächlichen Produktion (Output). Selbst wenn man glaubt, dass das Wachstum, welches Europa im ersten Quartal aufwies, sich fortsetzt, würde es Jahre dauern, bis die Lücke geschlossen ist, so Krugman. Der einzige Weg, Nichts-Tun zu rechtfertigen, wäre, anzunehmen, dass das Produktionspotenzial sich durch die Krise reduziert hat. Dann müsste man aber Tag und Nacht arbeiten, um den Abschwung umzukehren, schlussfolgert Krugman: Die Idee, dass die Politik genug getan habe, ist einfach wahnsinnig.

Norwegen: Kein Interesse an Stresstest für Banken

Der Ausschuss für europäische Bankenaufsicht (CEBS = Committee for European Banking Supervisors) untersucht mit dem viel zitierten Stresstest 91 europäische Banken (darunter 14 aus Deutschland) in 20 Ländern. Dabei werden insgesamt 7 nordische Banken durchleuchtet. Keine einzige aus Norwegen. OK, Norwegen ist kein EU-Mitglied. Aber wenn Oslo es sich gewünscht hätte, hätte auch Norwegen am Stresstest teilnehmen können, berichtet Tracy Alloway in FT Alphaville. Die norwegische Aufsichtsbehörde sieht jedoch „keinen nationalen Bedarf“. Es gibt zwei Gründe, warum Norwegen kein Interesse am europäischen Stresstest für Banken hat, bemerkt Citigroup: (1) Spill-over-Effekte aus einer norwegischen Bank-Krise auf den Rest von Europa wäre begrenzt. Norwegen hat eine einzige Bank, welche im Ausland über einen Marktanteil verfügt.


Norwegen: Land mit Banken ohne Stress

(2) Norwegische Banken haben gegenüber arg gebeutelten europäischen Ländern (Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) ein begrenztes Exposure. Die Kreditvergabe an diese Länder beträgt nur 1,0% der Bilanzsumme der norwegischen Banken, während andere Banken 10 bis 20 mal so hohes Exposure haben.

Im Übrigen hat Norwegen eigene Banken selbst untersucht. Die Widerstandskraft der norwegischen Banken wurde zuletzt im Mai geprüft.


Kreditvergabe an Haushalte und Unternehmen, Graph: Norges Bank, June, 23, 2010

Andere EU-Länder, die vom Stresstest nicht erfasst wurden sind: Bulgarien, Tschechische Republik, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien und Slowakei. Offenbar erfüllen diese Länder die Kriterien ("grosse grenzüberschreitende Bankgruppen") der CEBS-Methodik nicht.

Das bizarre Sommertheater 2010: Stresstest für europäische Banken

Der Stresstest für europäische Banken sorgt für Gesprächsstoff. Die Ergebnisse sollen heute nach Börsenschluss um 18.00 Uhr bekanntgegeben werden. Doch 10 Stunden davor ruft EZB-Chef Jean-Claude Trichet nach einer weltweiten Straffung der Geldpolitik. „Angesichts eines gesunden Aufschwungs in Europa“ plädiert Trichet für eine sofortige Kürzung der öffentlichen Ausgaben und Steuererhöhungen in der industrialisierten Welt. In einem schrillen Artikel („Stimulate no more – it is now time for all to tighten“) in FT argumentiert Trichet, dass politische Entscheidungsträger, die die Konjunkturstimulierung fortsetzen wollen, sich irren und die Senkung der Kreditaufnahme „sehr begrenzte“ Auswirkungen auf das Wachstum hätte.


US ISM-Index vs Ifo-Index Deutschland, Graph: Stephen Hull, Morgan Stanley

Während ein BIP-Wachstum von 1,7% in Deutschland als Aufschwung gefeiert wird und die Mainstream-Medien von einer Wirtschaft berichten, die brumme, erkennt die Fed den schwachen Verlauf der Erholung an und ist daher ungern bereit, kontraktive Massnahmen zu treffen, um die Auswirkungen der Fiskalpolitik der Regierung und die "Banking Policy" des Schatzamtes zu kompensieren.

Verlangsamt sich die Erholung in den USA, ist auch eine Verlangsamung in der Euro-Zone in Kürze wahrscheinlich, berichtet Morgan Stanley in einer gestern vorgelegten Analyse. Wie die beiden Abbildungen zeigen, neigt die US-Konjunktur (in der Abbildung: ISM-Index = Einkaufsmanager Index für das verarbeitende Gewerbe) dem europäischen Pendant (Ifo-Index) ein paar Monate vorauszugehen. In der Tat ist es so, dass die belgische Konjunkturumfrage, die als einen besseren Indikator für die Wirtschaftsaktivitäten in der Euro-Zone gilt, bereits begonnen hat, nach unten zu drehen.


Konjunkturverlauf USA vs Euro-Zone, Graph: Stephen Hull, Morgan Stanley

PS: Mehr zum Thema „manipulierte Interpretation von Wirtschaftsdaten“
in NachDenkSeiten
hier und hier.

Donnerstag, 22. Juli 2010

Deflationsrisiko

Tiefe Inflation + Grosse Produktionslücke = Deflationsrisiko


Deflation Risk, Graph: Jan Hatzius, US-Economic Outlook, Goldman Sachs

Hat tip (via FT Alphaville) Paul Kedrosky in InfectiousGreed.

US-Notenbank: Aussergewöhnlich unsichere Wachstumsaussichten

Fed-Chef Ben Bernanke hat vor dem Bankenausschuss des Senats die US-Wachstumsaussichten als „aussergewöhnlich unsicher“ (unusually uncertain) bezeichnet. Die Fed stehe aber bereit, notfalls weitere Massnahmen zu Stützung des Wachstums zu treffen. Hier ist der Redetext. Bernanke’s Aussage fehlt, wie erwartet, jeder Sinn für Dringlichkeit, bemerkt Paul Krugman in seinem Blog. Die Wirtschaft ist enttäuschend. „Vielleicht sollten wir eines Tages darüber nachdenken, etwas zu unternehmen“, erklärt Krugman. Die Fed scheitert, ihr duales Mandat („Preisstabilität und Vollbeschäftigung“) zu erfüllen, argumentiert der Nobelpreisträger.

Es dürfte zweckdienlich sein, eine Masseinheit zu haben, die zeigt, wie gross der Fehlschlag ist. Krugman schlägt daher den „Fedfail Index“ vor. Basierend auf die „ Taylor Regel“, welche ja eine Faustregel zur Messung von Fed Funds Rate (US-Leitzins) bietet, würde der „Fedfail-Index“ zeigen, wie weit die Arbeitslosigkeit und die Inflation von ihren angeblichen Zielen abweichen. Gemessen daran verschlechtert sich die Situation, so Krugman. Die Arbeitslosigkeit ist zwar leicht rückläufig, aber „wir treiben näher an die Deflation“, erläutert der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor weiter. Seiner Meinung nach unternimmt die Fed nicht genug, um Ergebnisse zu liefern.

Mohamed El-Erian (PIMCO Chief Executive) schreibt in einer Stellungnahme in FT Alphaville, dass Bernanke’s Aussage (1) die Kenntnisse der Fed offiziell wieder bestätigt, dass das hohe Niveau der Arbeitslosigkeit für eine ungewöhnlich lange Zeit bestehenbleibt, (2) die zunehmend strukturelle Dimension des Problems Arbeitslosigkeit ausdrücklich anerkennt, einschliesslich der Gefahr, dass die Langzeitarbeitslosigkeit die Produktivität der Arbeitskräfte unterläuft und sich in dauerhafte Arbeitslosigkeit entwickeln kann und (3) ungewöhnlich offen über die trüben Aussichten der Wirtschaft ist, einschliesslich des „ungewöhnlich ungewissen“ Ausblicks.